Die NFP sind an den drängenden Fragen unserer Zeit dran
Der SNF schreibt vier neue Nationale Forschungsprogramme (NFP) aus. Nicole Schaad erklärt, wie das Instrument NFP funktioniert. Sie leitet im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation das Ressort Nationale Forschung.
Frau Schaad, warum sind die die Nationalen Forschungsprogramme für den Bund wichtig?
Die NFP bilden eine wichtige Ergänzung der Bottom-up-Förderung, also der freien Projektforschung in der Grundlagenforschung, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Themen nach ihren Interessen wählen. Das Instrument NFP unterstützt eine thematisch koordinierte Forschung, die sich konkret um gesellschaftliche Herausforderungen kümmert. Im Idealfall dient das von den NFP erzeugte Wissen als Grundlage für die Bewältigung von aktuellen Problemen. Ob Covid-Pandemie, Biodiversität, fürsorgerische Zwangsmassnahmen oder Gendermedizin: Die NFP sind nahe an den drängenden Fragen unserer Zeit dran.
Das Instrument NFP besteht schon seit 1975. Wie hat es sich seither verändert?
Dass die NFP seit fast 50 Jahren bestehen, spricht für das Instrument. Es gab im Laufe der Zeit mehrere Pendelbewegungen. Zu Beginn war das Instrument stark von der Politik geprägt. Politik und Verwaltung erhofften sich von der Wissenschaft Antworten darauf, wie sich gesellschaftliche Fragen mit neuen Erkenntnissen und Empfehlungen gezielt lösen lassen. Ab den 1990er-Jahren entwickelten sich die NFP zunehmend zu einem Instrument der Wissenschaft, die damit interessante Forschungsfragen untersuchte. Die praxistauglichen Lösungen rückten in den Hintergrund. In den letzten Jahren sehen wir, dass der Bundesrat die NFP-Themen direkt selbst bestimmt, etwa bei der Pandemie. Die Stärke der NFP liegt aber gerade im Ausbalancieren wissenschaftlicher und politischer Interessen. Daher ist es wichtig, regelmässig offene Prüfrunden durchzuführen. Wir sammeln Themen bei Wissenschaft, Gesellschaft und Verwaltung und priorisieren dann jene, die relevant sind für die Erfüllung der Bundesaufgaben.
Die NFP formulieren oft Empfehlungen an die Politik. Wie gross ist deren Bereitschaft, diese Impulse aufzunehmen – oder allgemein: Was erwartet die Politik von den NFP?
Die NFP sollen frühzeitig drängende Herausforderungen aufgreifen und Handlungswissen generieren. Wenn sie sozusagen zu wissenschaftlich bleiben, ist der Mehrwert für Politik und Verwaltung begrenzt. Die Forschenden müssen also ihr angestammtes Gebiet verlassen und ihr Wissen mit der Realität, mit der Praxis gesellschaftlicher Entwicklungen abgleichen. Das ist anspruchsvoll. Wenn sie sich vertraut machen mit den politischen Diskussionen, können sie ihre Ergebnisse besser einbetten und Politik, Verwaltung sowie gesellschaftliche Akteure stärker miteinbeziehen. Das gelingt manchmal, hier besteht aber sicher noch Verbesserungspotential.
Wenn Forschende sich auf das Feld der Politik begeben, besteht dann nicht die Gefahr, dass Wissenschaft instrumentalisiert wird?
Die Wissenschafterinnen und Wissenschaftler müssen diese Herausforderung erkennen. Das können sie im Dialog mit der Politik. Ihre Forschungsagenda müssen sie losgelöst von politischen Interessen konzipieren.
Haben sich die Erwartungen der Politik in den letzten Jahrzehnten gewandelt?
Die Politik, also das Parlament, möchte vermehrt NFP über den politischen Weg lancieren, also über Vorstösse. In der Regel haben Politikerinnen und Politiker ihre spezifischen Themen und sind wenig mit internationalen Diskussionen vertraut, um frühzeitig wichtige Entwicklungen zu erkennen. Hätte die Politik oder die Verwaltung ausschliesslich aufgrund eigener Interessen entschieden, hätten wir vermutlich einige wichtige NFP gar nie lanciert, etwa «Chancen und Risiken von Nanomaterialien» oder «Künstlicher Intelligenz und Robotik» von 1998. Daher ist es zentral, dass wir einen Weg finden, wie wir zu den richtigen Themen kommen – und zwar nicht zu solchen, die bereits breit bearbeitet werden, sondern die für die Schweiz neu und relevant sind beziehungsweise sein werden.
Was macht der Bund mit den Forschungsergebnissen?
Der Bund identifiziert für jedes NFP die Schlüsselämter, die sich mit den jeweiligen Themen beschäftigen und an den Ergebnissen der Forschung interessiert sind. Beim NFP «Fürsorge und Zwang» war dies etwa das Bundesamt für Justiz, beim NFP «Covid-19» das Bundesamt für Gesundheit. Manchmal sind auch mehrere Ämter vertreten. Sie delegieren ihre Vertreterinnen und Vertreter in die NFP. Sie sind verantwortlich für den Informationsfluss in die Bundesverwaltung und für die allfällige Umsetzung der Ergebnisse in den betreffenden Praxisgebieten.
Wie würden Sie die Eigenart der NFP-Forschung charakterisieren?
Die Anwendung des Wissens spielt eine zentrale Rolle, daher wird vermehrt die Innosuisse einbezogen, die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung. Jedes NFP hat den Auftrag, Wissens- und Technologietransfer umzusetzen, das heisst, Wissen gezielt so aufzubereiten, dass es den interessierten Kreisen verfügbar ist und mit den Stakeholdern, also mit den am NFP interessierten oder von der Thematik betroffenen Gruppen, konkret Lösungen zu erarbeiten. Schliesslich spielen die Inter- und Transdisziplinarität eine wichtige Rolle, die Zusammenarbeit verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und die Einbindung der Praxis. Inter- wie Transdisziplinarität erleichtern die Bewältigung der grossen Herausforderungen, vor denen die NFP stehen, weil die realen Herausforderungen nun einmal komplex sind.
Das NFP 82 analysiert die Bewirtschaftung und Nutzung von Biodiversität und Ökosystemen. Es soll transdisziplinär funktionieren und die Praxis von Anfang an miteinbeziehen. Was versprechen Sie sich davon?
Dass die Biodiversität bedroht ist und seit Jahren abnimmt, wissen wir alle. Vom NFP 82 erwarte ich Antworten darauf, wie wir konkret Biodiversität schützen können. Der frühe Praxiseinbezug ist wichtig. Daraus sollen Erkenntnisse zum Erhalt wie auch zur Funktion beziehungsweise Bedeutung dieser Ökosysteme für Gesellschaft und Wirtschaft hervorgehen.